Marissa
Pablo-Dürr, Friedrich Popp
Mediation im Kontext
der Einwanderungsgesellschaft
Der vorliegende Essay
beschäftigt sich mit der Tatsache, dass wir in einem Einwanderungsland und
insbesondere in Einwanderungsstädten leben, Migrantinnen und Migranten sind ein
Teil dieser Gesellschaft (1/5 der Bevölkerung hat in Deutschland Migrationhintergrund).
Wir wollen uns jedoch nicht mit den v.a. in den „Auslandswissenschaften“
verwendeten „Kulturstandards“ anderer Ethnien und Länder beschäftigen, da diese
u.E. die Vorurteile und Stereotypisierungen eher verstärken. Daher haben wir es
mit der Schwierigkeit zu tun, dass wir einerseits die Vielfalt (diversity) der in unserer Mitte lebenden Menschen und die
vielfach wahrgenommene „kulturelle Fremdheit“ ins Zentrum unserer Überlegungen
und Handlungsstrategien stellen und gleichzeitig dieses Anderssein nicht
überbetonen und somit erneut zum Ausgangspunkt von Vorurteilen und Ausgrenzung
machen wollen.
Städte sind seit alters
her Orte der Zuwanderung und somit auch Orte, in denen sich der Prozess der
Integration von zugewanderten Fremden vollzieht. Im Laufe der Zeit, manchmal
innerhalb von wenigen Jahren, manchmal jedoch auch von Generationen werden aus
Fremden „Einheimische“. In Städten begegnen sich eigentlich ständig Fremde –
anders als in überschaubaren dörflichen Strukturen. Dies ist erst einmal gar
nicht negativ zu verstehen, es wäre ja auch eine quantitative Überforderung,
sich in Städten mit einer größeren Anzahl von Fremden in freundschaftlicher
oder nachbarschaftlicher Nähe zu begeben. Insofern ist es nicht verwunderlich,
dass es dort, wo viele Menschen auf engstem Raum zusammen leben, auch zu
Konflikten, zu alltäglichen Konflikten kommt. Bei den nachfolgenden
Überlegungen gehen wir v.a. von Konflikten im nahen sozialen Raum, d.h. in
Familie und Nachbarschaft, aus.
In Städten finden wir eine
soziale Differenzierung, sowohl eine soziale Segregation nach
Schichtzugehörigkeit auf Grund begrenztem Zugang zu materiellen Ressourcen als
auch eine Marginalisierung und Exklusion
auf Grund der Herkunft. Es haben sich Stadtviertel mit sozialer Unterschichtung
gebildet, in denen gleichzeitig auch viele Migranten/innen wohnen. In der
Soziologie spricht man von der „Ethnisierung der sozialen Schichtung“, der
Unterschicht werden zugleich ethnische Merkmale zugeschrieben. Die Zuordnung
ethnischer Merkmale kann einerseits durch Selbstethnisierung geschehen, weil
die eigene Ethnie als soziales Kapital erfahren wird. Andererseits wird sie oft
als Fremdethnisierung konstruiert und kann so zu Stigmatisierung und auch zu
Ablehnung mit rassistischen Motiven führen. Auf dieses wichtige Thema kann an
dieser Stelle nur hingewiesen werden. Konflikte im interkulturellen Kontext
sind vielschichtig und verlangen eine interkulturelle Kompetenz und besondere
Sensibilität. Schon bei der Meldung eines „interkulturellen Konflikts“ oder
eines „Konflikts im interkulturellen Kontext“ sind so viele Aspekte zu
beachten, dass wir uns im folgenden nur auf einige Fragen konzentrieren wollen,
die am Beginn des Mediationsprozesses gestellt werden können.
1. Worüber wird
gestritten?
Bereits beim
Streitgegenstand sollten wir uns die Frage stellen, was diesen Konflikt von
einem "normalen" Konflikt unterscheidet. Möglicherweise ist alleine
die Tatsache, dass Migranten/innen am Konflikt beteiligt sind, ein
ausschlaggebendes Argument, von einem "interkulturellem Konflikt"
auszugehen. Wir gehen dann von interkulturellen Aspekten eines Konflikts aus,
wenn kulturelle Gesichtpunkte einen wesentlichen Einfluss auf den Konflikt
selbst und seinen Verlauf haben oder dieser Einfluss von einer Seite angenommen
wird. Das bedeutet jedoch noch lange nicht, dass es sich auch tatsächlich um einen
"interkulturellen" Konflikt handeln muss. Das heißt für die Praxis,
dass wir Konflikte, bei denen in irgendeiner Form Menschen mit
Migrationshintergrund beteiligt sind, die Konfliktbearbeitung unter
interkulturellen Aspekten betrachten. Es stellt sich meist erst im Verlauf der
Mediation heraus, ob der Konflikt eine interkulturelle Ursache hat oder nicht.
2. Wer meldet den
Konflikt?
Aus unserer
Praxiserfahrung können wir feststellen, dass öfter „Einheimische“ einen
Konflikt melden, insbesondere wollen sie sich über „Ausländer“ beschweren. Der
Zugang zu den sozialen Ämtern und
Beschwerdestellen fällt einem/r deutschen Beschwerdeführer/in wohl leichter.
Oft haben Migranten/innen Probleme, schon bei relativ einfachen Angelegenheiten
mit den Ämtern zurecht zu kommen. Auffallend ist, dass
v.a. ältere „deutsche“ Frauen eine Konfliktmeldung über ihre "ausländischen"
Nachbarn machen. Wir vermuten, dass die Gestaltung sozialer Beziehungen als
innerfamiliäre Aufgabe den Frauen obliegt. Auf den möglichen Widerspruch, dass
„die Ausländer“ vielleicht schon den deutschen Pass besitzen und somit auch zu
den „Einheimischen“ gehören, weisen wir an dieser Stelle hin. Es findet also
meist schon a priori eine nicht näher hinterfragte Fremd- bzw.
Selbstethnisierung statt.
3. Wie finden wir Zugang zur zweiten Konfliktpartei?
Nach einer
Mediationsanfrage scheitern manche Fälle am Zugang zur zweiten Konfliktpartei,
da diese nicht antwortet oder bewusst blockiert. Nur wenige Institutionen haben
einen niedrigschwelligen Zugang und haben sich bewusst für Migrantinnen und
Migranten geöffnet. Bei der Konzipierung des "Nürnberger Netzwerkes für
interkulturelle Mediation" sind wir daher von der Grundannahme
ausgegangen, dass mindestens die Hälfte der auszubildenden Mediatoren/innen
selbst Migranten/innen sein sollte, um die soziokulturelle Nähe und den Zugang
zu den Menschen mit Migrationshintergrund zu ermöglichen und die
Sprachbarrieren zu vermindern. Für die Mediation wird jeweils ein Tandem
gebildet. Obgleich nicht alle Sprachen und kulturellen Orientierungen bedient
werden können, ist die Tatsache, dass ein/e Mediator/in innerhalb des Tandems
selbst Migrationshintergrund hat, ein Zeichen öffentlicher Wertschätzung. Der
Zugang wird auch für Migranten/innen erleichtert, da sie eine soziale Nähe zu
dem/r Mediator/in nichtdeutscher
Herkunft fühlen. Dadurch wird auch der Zugang zu einer Konfliktpartei
ausländischer Herkunft leichter und es kann auch der Beginn eines "Empowerment"-Prozesses für den/die Migranten/in sein.
Wir raten davon ab, zu viele Briefe zu schreiben, wichtiger ist der persönliche
Kontakt. Es kann auch durchaus sinnvoll sein, zunächst mit vertrauensbildenden
Maßnahmen, d.h. mit einer Pendelmediation zu beginnen. Wir haben sogar die
Erfahrung gemacht, dass diese Pendelmediation in vielen Fällen unabdingbar und
oft der eigentliche Schlüssel zu einer erfolgreichen Mediation ist.
Insbesondere in Migrantenfamilien mit konservativ-traditionellem Hintergrund
(aber nicht nur dort) ist die Frage des „Gesicht bewahren“ eine nicht zu
unterschätzende Haltung.
4. Gibt es a priori ein Machtgefälle zwischen den
Beteiligten?
Vielfach haben wir es mit
Menschen zu tun, die jeweils der Mehrheit oder einer der Minderheiten in
unserer Gesellschaft angehören. Nichtdeutsche Minderheiten sind von den
entscheidenden Rechten in der Gesellschaft meist ausgeschlossen (kein
Wahlrecht, keine uneingeschränkte Vereinigungsfreiheit etc.). Innerhalb der
Minderheiten sind die Rechte unterschiedlich verteilt: Bürger/innen aus
EU-Staaten genießen mehr Rechte als Nicht-EU-Bürger (z.B. "kommunales
Wahlrecht", EU-Freizügigkeit etc.). Auch unter den „Ausländern“ sind die
Aufenthaltsrechte unterschiedlich verteilt (z.B. Niederlassungserlaubnis,
befristete Aufenthaltserlaubnis oder gar nur eine Duldung). Manche Migranten
leben oft noch in einem unsicheren Aufenthaltsstatus (ein ausländischer
Ehepartner hat erst nach einer zweijährigen ehelichen Lebensgemeinschaft ein
eigenständiges Aufenthaltsrecht). Ein unsicherer Aufenthaltsstatus kann,
insbesondere bei innerehelichen Konfliktfällen, unter Umständen sogar eine
existenzielle Bedrohung für eine Partei bedeuten. In manchen Fällen wird das
Ausländerrecht sogar von einer Partei zu eigenen Machtzwecken
instrumentalisiert. Die Mediatoren/innen müssen diesen ausländerrechtlichen
Hintergrund stets im Auge behalten. Auch die Frage der sozialen Schichtzugehörigkeit
kann von Bedeutung sein. Einen ersten Hinweis kann uns dabei die Frage nach der
Bildungsnähe oder –ferne der Menschen geben.
5. Wie leben die Menschen?
In deutschen Großstädten
leben die meisten Menschen in Single- oder Alleinerziehenden-Haushalten. Wenn
Menschen in Familien leben, beschränken sie sich auf die Kernfamilie
(Kleinfamilie). Eine Ausnahme bilden hier Migrantenfamilien, die manchmal noch
mit Großfamilien leben oder zumindest noch einen starken familiären
Zusammenhalt pflegen. Dies erfordert daher eine besondere Sensibilität für das
soziale Umfeld der Großfamilie. Ältere Familienmitglieder oder Verwandte sind
u.U. in die Mediation mit einzubeziehen. Auf den ersten Blick mag dies die
Mediation verkomplizieren. Die soziale Autorität dieser Personen kann jedoch
helfen, die Lösungen im Familiensystem leichter umzusetzen. Viele Themen können
mit diesem Personenkreis sicherlich leichter in Einzelgesprächen im Rahmen
einer Pendelmediation angesprochen werden.
Resümee
Wir
meinen, dass es bei den meisten „interkulturellen Konflikten“ nicht um
kulturelle oder ethnische Unterschiede geht, sondern um Konflikte, die aus den
verschiedenen Identitäten der einzelnen Menschen hervorgehen, wie z.B.
Konflikte zwischen Jungen und Älteren, Frauen und Männern oder schlicht und
einfach um einen Nachbarschaftskonflikt zwischen Lebhaften und Ruhebedürftigen.
Wir müssen uns daher ernsthaft die Frage
stellen, ob die ethnische Zuschreibung fokussiert wird, um einen ganz
„normalen“ Konflikt zu kaschieren, mit anderen Worten, es besteht die Gefahr,
dass der Konflikt eigentlich durch eine/n der Beteiligten erst „ethnisiert“
oder „kulturalisiert“ wird. Da die meisten von uns nicht vor einem
eurozentristischen Blick gefeit sind, wäre es unseres Erachtens wichtig, einen
Perspektivenwechsel vorzunehmen, indem wir muttersprachliche Mediatoren/innen
(Migranten/innen) einbeziehen und die Mediation grundsätzlich gemeinsam in
einem interkulturell gemischten Tandem durchführen. In Nürnberg haben wir ein
„Netzwerk interkulturelle Mediation“ nach diesem Grundsatz aufgebaut – es
funktioniert!
Marissa
Pablo-Dürr, Soziologin, M.Sc.(Univ. of London),
Mediatorin, Mail: pablo.duerr@t-online.de
Friedrich
Popp, Geschäftsführer des Ausländerbeirates der Stadt Nürnberg, Mediator BM,
Mail: friedrich.popp@stadt.nuernberg.de
Literaturliste:
Marissa Pablo-Dürr,
Friedrich Popp, Konstruktive Konfliktvermittlung in der
Einwanderungsgesellschaft, Das Nürnberger "Netzwerk interkulturelle
Mediation", in: Migration und soziale Arbeit 3/4 - 2005, Frankfurt/M.
Marissa Pablo-Dürr,
Friedrich Popp, Das Nürnberger "Netzwerk interkulturelle Mediation" -
Ein Beitrag zu einer konstruktiven Streitkultur, in: Bayerisches
Landesjugendamt, Mitteilungsblatt Nr. 1, München 2003
Friedrich Popp,
Anmerkungen zur "Interkulturellen Kompetenz", in: Bernhard Jehle/
Bernd Kammerer/ Horst Unbehaun
(Hrsg.), Migration - Integration - Interkulturelle Arbeit, Chancen und
Perspektiven der pädagogischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, Nürnberg
2004, Internet: www.auslaenderbeirat.nuernberg.de/info.htm