Kulturen streiten nicht!

Das Buch „Streiten Kulturen? Konzepte und Methoden einer kultursensitiven Mediation“ entstand im Anschluss an die „3. Wiener Konferenz für Mediation“, die unter dem Titel „Cultur meets Culture“ im Jahre 2003 stattfand. Die Herausgeber/innen Gerda Mehta und Klaus Rückert erheben den Anspruch, wichtige Ergänzungen im Methodenkanon der Mediation zu geben. Sie weisen auf die vielfältigen und unterschiedlichen kulturellen Hintergründe in Mediationsprozessen hin und wollen die Mediatoren/innen somit für einen kultursensiblen Umgang gewinnen. Schon auf der Rückseite des Buches lassen sie das Grundmotiv ihrer Essaysammlung erkennen: „Streiten Kulturen? Nein! Menschen streiten.“ Die Autoren/innen stellen drei Grundannahmen fest (Einleitung, S. XII):

·         Kultur in der Mediation heißt kulturelle Vielfalt mit bedenken und zulassen

·         Mediationskultur ist Anerkennung von Vielfalt ohne Beliebigkeit

·         Die in der Mediation bisher bewährte Vermittlungstechnik und -haltung ist nur eine, die nicht notwendigerweise allen Kulturen entspricht (…)

Dieses Buch verunsichert uns und sensibilisiert zugleich, den Perspektivenwechsel gegenüber dem Fremden und dem Eigenen ständig erneut vorzunehmen. Es enthält jeweils drei bis fünf Essays zu unterschiedlichen Themenbereichen wie interkultureller Theorie, Problemfelder von Konfliktkulturen, methodische Besonderheiten der kultursensitiven Mediation und ein Praxiskapitel mit Beispielen kultursensibler Mediation in Afrika und in unterschiedlichen Bereichen Mitteleuropas.

Elisabeth Reif gibt eine vortreffliche Einführung in die „Interkulturelle Mediation“ (S. 31-54). Interkulturelle Mediation – ebenso wie der Begriff ‚interkulturelle Kompetenz’ – sei zu einer Modeerscheinung geworden. Es gebe inzwischen vielfältige Anwendung und die unterschiedlichsten Definitionen von interkultureller Mediation. Reif bekennt sich klar zu einem kritischen Kulturbegriff und warnt vor einem ‚kulturalistischen’ Rassismus, der „Individuen und Gruppen a priori in eine Ursprungsgeschichte“ einteilt. „Dem kritischen Kulturbegriff zufolge sind kulturelle Grenzen hingegen als diffus zu verstehen, sie stehen in Austausch mit anderen Kulturen. Kultur ist kein homogenes, hermetisch abgegrenztes Ganzes. (…) Zur Heterogenität von Kulturen zählt selbstverständlich auch die Tatsache, dass sie nicht statisch sind, sondern sich verändern. Kulturen sind also auch als Prozesse zu verstehen.“(S. 32) Die Autorin untersucht verschiedene Konfliktfaktoren in interkulturellen Zusammenhängen. Dies betrifft sowohl die Frage einer gemeinsamen Sprache als auch Vorurteile und Machtunterschiede im Kommunikationsprozess.

Abschließend stellt Reif die Frage, ob das euroamerikanische Mediationsmodell ein kulturneutrales Verfahren sei. Sie kommt zu dem Schluss, dass es ein deutlich kulturell geprägte Form der Kulturvermittlung sei, das auf einem individualistischen Kulturverständnis basiere und Menschen mit eher kollektivistischer Orientierung durchaus Probleme bereiten könne. Daher plädiert sie für interkulturell gemischte Co-Mediatorenteams, bei dem ein/e Mediator/in auch die Sprache der anderen Konfliktpartei spricht. Auch getrennte Einzelgespräche könnten in bestimmten Kontexten sinnvoll sein, bevor man sich für eine direkte Konfrontation entschließe. Wichtig sei, die Bedürfnisse der Konfliktparteien – auch wenn sie ein extremes Harmoniebedürfnis hätten – ernst zu nehmen und in das Mediationsverfahren einzubauen. Für die Autorin besteht bei interkulturellen Konflikten grundsätzlich die Gefahr, Menschen mit Vorurteilen zu begegnen, weil „man ihnen a priori kulturelle Werthaltungen zuschreibt“. Noch schlimmer wäre jedoch das andere Extrem, „am Wesentlichen des Konfliktes vorbei zu mediieren, weil man nichts verstanden hat“ (S. 52) und den Konflikt nur durch die eigene (eurozentristische) Kulturbrille sehe. Kulturelle Unterschiede müssten wahrgenommen werden, Grundvoraussetzung interkultureller Kompetenz bedeute „Interkulturelle Erfahrung und Wissen darüber, worin sich Kulturen unterscheiden“.

Auch Consolata Peyron untersucht die Frage, wie mit kulturellen Unterschieden in Konflikten umzugehen sei. Während sie im Titel „Viele Kulturen – ein Mediationsverfahren?“ noch eine Frage stellt, plädiert sie bereits im Untertitel „Von der Notwendigkeit vielfältiger Ansätze, Methoden und Verfahren in der interkulturellen Mediation“ (S. 147 -161). Sie warnt vor der Überbewertung der kulturellen Dimension in Konflikten, da sie all zu leicht in Ethnisierung ausarten könne. Umgekehrt sei aber die Ausblendung der kulturellen Unterschiede genauso falsch. So könnten Unterschiede z.B. „in einer ungleichen Handhabung von Zeit, Raum, Kommunikationsstilen, einem anderen Stellenwert der Gruppe gegenüber dem Individuum“ etc. bestehen (S. 149). Da das primäre Ziel einer konstruktiven Konfliktbearbeitung und -lösung die Wiederherstellung der beschädigten Verbindung zwischen den Konfliktparteien sei, müsse das Verfahren in einer interkulturellen Mediation „bestimmte Spezifika“ aufweisen. Der Mediationsprozess könne dabei viele Formen annehmen. Neben der klassischen Form der ‚direkten Mediation’, richtet Peyron ihr Augenmerk v.a. auf die ‚indirekte Mediation’. „Das Mediationsverfahren kann durchgehend getrennt durchgeführt werden oder es kann nach einer getrennten Phase zu einem gemeinsamen Treffen kommen. (…) Diese Methode gewährt einen unter Umständen notwendigen Schutz vor unmittelbarer Konfrontation (…).“ Aber auch eine „mediative Konfliktberatung“ mit nur einer Konfliktpartei könne sinnvoll sein, wenn die zweite Partei den Wunsch nach Mediation ablehne. Damit könne eine Veränderung der Konfliktdynamik herbeigeführt werden. Die Erfahrungen der Autorin im Zentrum zur Bearbeitung von Nachbarschaftskonflikten in Turin zeigen, „dass die Akzeptanz für eine freiwillige Konfliktbearbeitung steigt, wenn den jeweiligen Konfliktparteien von vornherein verschiedene Optionen angeboten werden“ (S. 151). Auch in den einzelnen Phasen der Mediation sollte über die geeigneten Methoden nachgedacht werden. So könne es in der Vorphase einer Mediation z.B. durchaus sinnvoll sein, den ersten Kontakt indirekt über informelle Kanäle herzustellen oder die Kontaktaufnahme mit Migranten/innen ohne Schriftverkehr vorzunehmen. Im ‚eigentlichen’ Mediationsverfahren könne es von großer Bedeutung sein, „ob man schnell zur Sache kommen will oder sich langsamer herantastet“. Neben dem üblichen Phasenmodell, das der westlichen linearen Grundhaltung entspreche, kann auch das „zirkuläre Modell“ von Lederach in der interkulturellen Mediation wirkungsvoll sein. „Mehrere Punkte werden gleichzeitig behandelt, eine polychrone Art des Vorankommens wird begrüßt (…).“ Wenn alle Beteiligten die Ausarbeitung einer Vereinbarung wollen, sei das Ziel erreicht.

Da Konflikte im sozialen Bereich nicht immer gelöst werden können, bevorzugt Peyron einen transformativen Ansatz, d.h. sie stellt eine konstruktive Bearbeitung und Veränderung der Konfliktdynamik in den Vordergrund. Insbesondere bei Konflikten, die auf der strukturellen Ebene oder an sozialen Brennpunkten stattfinden, kann Mediation oft gar keine Lösungen bieten, jedoch deeskalierend wirken.

Das Buch enthält weitere interessante Essays, z.B. „’Treffen sich zwei Mediatoren …’ – Fallverstehen in der Mediation“ (Michel Wandrey), „Kultur in der Mediation“ (Stefan Kessen), „Die Bedeutung der Sozialen Netzwerkanalyse für die Praxis mediativer Konfliktbearbeitung“ (Bettina Dutt und Andrea Engel) oder „Playback-Theater und Mediation“ (Aniko Kaposvari und Ed Watzke). Dieses Buch ist ein Standartwerk der interkulturellen Mediation. Eine Antwort auf die Frage, wie mit Konflikten in der Einwanderungsgesellschaft umgegangen werden soll, wird allerdings nur ansatzweise behandelt.

Gerda Mehta, Klaus Rückert (Hrsg.), Streiten Kulturen? Konzepte und Methoden einer kultursensitiven Mediation, Springer-Verlag Wien/New York, 2004

 

Friedrich Popp

 

Der Autor ist Geschäftsführer des Ausländerbeirates der Stadt Nürnberg,

Mediator BM und Gründungsmitglied im Netzwerk interkulturelle Mediation, Nürnberg

Weitere Infos dazu unter: www.auslaenderbeirat.nuernberg.de